• Food Design mit Martin Hablesreiter

    Martin Hablesreiter, honey and bunny productions

    Food Design

    Wir leben in einer Gesellschaft, die über Herkunft, Inhalt und Bedeutung ihrer Nahrung so wenig Bescheid weiß wie keine zuvor. Der Vortrag beleuchtet einen bisher wenig diskutierten Aspekt unseres Essens, jenen des Designs und untersucht, welche Geschichten unsere Nahrung erzählt und was die alltäglichen Mahlzeiten über unsere Kultur aussagen.

    Das Bedürfnis, Nahrung zu gestalten, ist so alt wie die Zivilisation. Seit Anbeginn der Menschheit setzen wir ein unglaubliches Maß an Phantasie, Kreativität und Erfindungsgeist ein, um natürliche Grundprodukte nach unseren Vorstellungen zu verändern. Von der Fülle an Nahrungsmitteln, mit denen uns die Natur versorgt, gelangen nur die wenigsten direkt, also roh und im Ganzen, auf den Teller. Die allermeisten werden in irgendeiner Weise verändert, ehe wir sie in den Mund stecken. Egal ob Früchte, Getreide oder Fleisch: Wir bearbeiten Grundprodukte, um sie genießbar und schmackhaft zu machen, sie zu konservieren oder zu transportieren. Mehr als eintausend Mal pro Jahr – vor jedem Essen – zerschneiden, kochen, verrühren und kombinieren, also gestalten wir das, was wir ernten oder schlachten, und betätigen uns somit als Food Designer.

    Wir gestalten Essen, um den Genuss zu steigern und praktische Anforderungen wie Lagerfähigkeit zu erfüllen, aber auch um Werte zu transportieren und Mythen zu erzählen. Eine runde Oblate besitzt kaum Kalorien, ist nicht besonders schön, schmeckt praktisch nach nichts und wäre effizienter herstellbar, wenn sie eckig wäre. Trotzdem werden runde Oblaten als Hostien weltweit regelmäßig produziert und konsumiert.
    Unser Essverhalten ist der Spiegel unserer kulturellen Standards. Wir definieren uns über unseren Speiseplan und grenzen uns mit seiner Hilfe von anderen Kulturen ab. Das angelernte Essverhalten bedeutet Zusammenhalt – in der Familie, im sozialen Umfeld, in der eigenen Kultur.
    Zu den ältesten bekannten Beispielen der Gestaltung essbarer Produkte zählen symbolisch aufgeladene Opferbrote. Manche dieser antiken Motive existieren bis heute, zum Beispiel der Zopf oder das Croissant. Auch wenn Inhalte und Bedeutungen dieser Formen mittlerweile in Vergessenheit geraten sind, so gaben sie doch ursprünglich den Ausschlag für ihre Gestaltung.
    Erfolgreiche Nahrungsmittel schmecken nicht nur, sondern erzählen eine Geschichte. Das Design von Speisen verwandelt simple Zutaten in National- und Liebessymbole, sexuelle Anspielungen, Opfergaben und religiöse Gerichte. Die Vermittlung symbolischer Inhalte und übergeordneter, kultureller Werte bildet den dritten grundlegenden Bestandteil von Food Design. Wir essen nicht nur, was nahrhaft ist, was uns schmeckt, was verfügbar und einfach zu konsumieren ist. Wir essen, was für uns einen kulturellen Wert besitzt, uns in unserer Identität und unserem Lebensgefühl bestärkt.

    Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten beide Architektur bei Hans Hollein an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, an der Elisawa Design School in Barcelona und in London. Danach arbeiteten sie ein Jahr im Atelier von Arata Isozaki in Tokio, ehe sie 2003 das Design- und Architekturatelier honey & bunny productions gründeten. Seit mehr als 10 Jahren erforschen sie Food Design. Dazu erschienen bislang die beiden, international preisgekrönten und weltweit einzigartigen Bücher „Food Design – von der Funktion zum Genuss“ (Springer 2005) und „food design XL“ (Springer 2009). 2008 kuratierten Stummerer/ Hablesreiter eine Food Design Ausstellung für das Wiener Museumsquatier und sie führten Regie beim ORF/ ARTE Dokumentarfilm „food design“. Die beiden hielten unzählige Vorträge zum Thema im In- und Ausland und sie arbeiten mittlerweile auch selbst als Food Designer.

    www.honeyandbunny.com

    DIENSTAG, 28. JUNI 2011, 19 UHR

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